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Was der Liberalismus sät, kann der Rechtspopulismus ernten!

1. Nun ist es soweit. Nach zwei Jahrzehnten tritt wieder eine Vereinigung mit wahrscheinlich einigem Erfolg zu den Landtagswahlen in NRW an, um mit Parolen gegen eine Minderheit im Lande für eine neue „eigene“ Identität zu werben. Gemeint ist die so genannte „Bürgerbewegung PRO-NRW“ mit ihrer Ein-Punkt-Agenda gegen den Islam bzw. gegen alles, was als islamisch identifiziert wird. Dagegen soll das „christliche“ Europa in Stellung gebracht werden. Die neue Identität speist sich aus der Ablehnung des äußeren Feindes, der zunehmend auch als innere Bedrohung dargestellt wird.

2. Um erfolgreich zu sein trennt man sich zunehmend von seinen eigenen Wurzeln, die nachweisbar in der radikalen Rechten und der faschistischen Bewegung zu finden sind. Orientierend versucht man einerseits den Rest der radikalen Rechten auf das Thema Islamophobie festzulegen und die Lufthoheit zu diesem Thema zu erobern, und andererseits an den Rändern der anderen Parteien zu graben, um die aus Angst vor zunehmender Deklassierung zitternde Mittelschicht zu gewinnen.

3. Nicht dass es Zielsetzung der Kapital– und Unternehmervertreter von CDU/SPD/FDP/GRÜNEN gewesen wäre, solch einer Formation zur Geburt zu verhelfen. Aber die Politik aus Deregulierung, Privatisierung, „Entstaatlichung“ und Umverteilung riesiger Summen an das Großkapital haben das Modell des „rheinischen Kapitalismus“ real immer mehr zerstört. Immer größere Teile der arbeitenden Bevölkerung müssen sich von sicheren Einkommen und damit geregelten Lebensperspektiven verabschieden. Das wurde bis vor kurzem noch „objektiver Zwang der Globalisierung“ genannt. Nach dem Eintreten der Finanz– und Wirtschaftskrise und der milliardenfachen Bankenrettung steckt die neoliberale Ideologie jedoch in einer tiefen Krise. Die sozialen Perspektiven werden immer unsicherer, und auch das Versprechen vom großen Gewinn an den Aktienmärkten und ist dahin. Lange haben alle bürgerlichen Parteien das Lied des Neoliberalismus gesungen und wissen nun nicht, wie es weiter gehen soll. Ökonomisch und sozial haben sie den sozialpolitischen Kompromiss der BRD zerstört, und damit den Boden bereitet für eine Bewegung, die Islamfeindlichkeit und Sozialrassismus zum Dauerthema erheben wird.

4. Auf der anderen Seite steht die Propaganda für „deutsche Interessen“ in der Welt und den Kampf gegen den „internationalen Terrorismus“, hinter dem immer der Kulturkampf gegen den Islam gestanden hat. Wurde vor mehr als 10 Jahren der rot-grüne Angriffskrieg gegen Jugoslawien als Verhinderung eines „neuen Auschwitz“ verkauft und von „humanitären Kriseninterventionen“ gefaselt, so wurde spätestens mit dem Irak-Krieg und seinen Legitimationslügen deutlich, dass es bei all den Kriegen um die Interessen von Kapital und Unternehmen auf dem Weltmarkt ging und geht.

5. Mit dem Beginn des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges gegen Afghanistan konnten endlich neokoloniale und damit chauvinistische Kampagnen beginnen, die den „Kampf der Kulturen“ und damit den Kampf gegen den Islam befeuerten. Fast ein ganzes Jahrzehnt wurde durch Parteien und Medien, das vorbereitet, was heute in aller Munde ist: Die Verschwörungstheorie der „schleichenden Islamisierung“, der Kampf des Abend- gegen das Morgenland und damit der christlich–aufgeklärten liberalen gegen die islamisch-vormoderne Welt. Das alles wurde bisher verkleidet als ein Kampf gegen den Terrorismus, der die westliche Freiheit und Demokratie in Frage stelle.

6. Nun aber schafft es eine neue Formation die soziale Unsicherheit der Mittelschichten mit dem Kampf gegen eine behauptete äußere wie innere Bedrohung zu verbinden. Sie schafft eine vermeintliche eigene Identität (deutsch, christlich, europäisch-liberal), und kann im bestehenden Rahmen der bürgerlich – kapitalistischen Gesellschaft darauf insistieren, dass dieser „Feind“ bekämpft werden muss, um die bestehende Gesellschaftsordnung zu verteidigen.

7. Ein nicht geringer Teil der Gesellschaft hat etwas zu verlieren: Seinen vermeintlich sicheren ökonomischen Platz. Und dieser Teil ist nicht dazu in der Lage, einen anderen Ausweg zu suchen, als sich an rassistischen und chauvinistischen Kampagnen gegen das „Fremde“ zu beteiligen. Eine soziale Umwälzung der politischen Verhältnisse ist für diesen Teil der Gesellschaft unvorstellbar, weil diese all seine Sicherheiten und Ziele im Bestehenden in Frage stellen würde. Somit ist ein nicht unwesentlicher Teil der arbeitenden Bevölkerung, insbesondere diejenigen, die sich noch in „Normalarbeitsverhältnissen“ befinden, derart in der sozialen Spaltung der Gesellschaft gefangen, dass sie eher gegen die Unterschicht treten, als mit ihr in einen solidarischen und gemeinsamen Kampf einzutreten.

8. Hier genau setzen die Kampagnen insbesondere von Westerwelle und Sarrazin an. Ersterer tat sich dadurch hervor, dass er die faulen Hartz IV-Betroffenen an den Pranger stellte, um sie gegen jene zu stellen, die noch in einem Arbeitsverhältnis stehen. Offensichtlich wollte er die Spaltung zwischen Arbeitslosen und Arbeitenden weiter vorantreiben. Sarrazin schlug dann endgültig auf die Unterklasse ein. Türken und Araber seien allenfalls für den Gemüsehandel brauchbar, ansonsten würden sie nur kleine Kopftuchmädchen produzieren. Das ist Sozialrassismus reinsten Wassers, und natürlich durfte der Hinweis auf Muslime, in dem Fall die „Kopftuchmädchen“, nicht fehlen. Da musste niemand aus der CDU her, das erledigen FDP und SPD ganz allein. Das ist das Entscheidende: Wahlweise wird gegen Muslime, Migranten oder die Unterklassen gehetzt. Und dies findet auch in Teilen der arbeitenden Bevölkerung und in der Mittelschicht seine Zustimmung.

9. In Zeiten der Krise und des nach wie vor herrschenden Neoliberalismus kommt es darauf an, politisch, sozial und kulturell für eine andere Perspektive zu kämpfen. Doch leider verhalten sich die angegriffenen Schichten und Gruppen mehr als defensiv. Weder kam es in den vergangenen Tarifauseinandersetzungen zu grundsätzlichen Gewinnen oder Fortschritten für die Arbeitenden, noch gab es Bewegung im Bereich der prekär und befristet Beschäftigten. Und auch der Kampf gegen die Parolen der Islamophoben und den weiteren Abbau von Grundrechten findet - wenn überhaupt - mehrheitlich im Verein mit den Neoliberalen statt, also mit jenen, die die Islamfeindlichkeit erst salonfähig gemacht, und den Demokratieabbau erst durchgesetzt haben.

10. Im Angesicht der Landtagswahlen bedeuten somit Parolen wie „Raus aus Afghanistan“, Einführung eines Mindestlohns von 10€ oder die sofortige Anhebung des Hartz-IV-Regelsatzes auf 500 EUR schon einen deutlichen Schritt nach vorne. Sie setzen damit deutlich ab von den Gewerkschaften, die sich zum größten Teil nicht mehr als Vertreter der Unterklassen verstehen. Während sich die Partei Die Linke in NRW in den Bereichen Bildung nur ein wenig weiter als der Linksliberalismus bewegt, zeigt sie doch deutlich mit der Forderung nach der „Verstaatlichung“ von RWE/EON, dass es Strukturveränderungen geben muss, die entscheidend gegen Kapital und Unternehmen durchgesetzt werden müssen. In diesem Sinne ist trotz aller Bedenken an der Gesamtentwicklung der Partei und deren zunehmenden Bürokratisierung auf allen Ebenen zu einer Wahl der Partei Die Linke in NRW (sicher nicht in Berlin und Brandenburg) am 9. Mai zu raten.

Auch ihre Unfähigkeit, gegen die Islamophoben ernsthaft und strategisch zu arbeiten, ändert nichts an der Tatsache. Erst wenn sich neue oder andere Schichten im Kampf gegen die Neoliberalen und ihre Zwillingsbrüder, die Rechtspopulisten, in Bewegung setzen, kann um neue und weiterreichende Antworten auch im Kampf gegen Krieg und Islamophobie gerungen werden. Bis dahin gilt es den Kampf gegen Krieg, Islamfeindlichkeit und neoliberale Politik insbesondere mit dem Augenmerk zu führen, dass man nicht mit den Verantwortlichen von gestern (ROT/GRÜN) perspektivlos ins Morgen stürzt. Wie die Tageszeitung junge Welt richtig zum 1. Mai titelte: Wir sind alle Griechen! Nur wer in der Lage ist, eine Antwort auf die Strukturkrise der kapitalistischen Globalisierung zu geben und ein Gegenmodell gegen den führenden Neoliberalismus - oder anders ausgedrückt: gegen das angloamerikanische Modell des Kapitalismus - zu entwickeln, wird auch in der Lage sein, eine antikapitalistische und antiimperialistische Perspektive anbieten zu können.

Initiativ e.V., Duisburg, 05.05.2010

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